Wir gründen einen Matri-Clan
Wenn wir heute mit dem Aufbau einer matrifokalen Gemeinschaft beginnen, in der alle Mitglieder miteinander blutsverwandt sind, dauert es eine ganze Weile, bis der Clan steht. Es fragt sich also: Welche Alternativen gibt es? Wahlverwandtschaft anstelle von Blutsverwandtschaft?
Matrifokal heisst: Mütter und Kinder stehen im Mittelpunkt.
Idealerweise zählt ein Clan zirka 60 bis 100 Mitglieder. Eine Gemeinschaft dieser Grösse ist, Wohnfläche vorausgesetzt, in der Lage, ein gewisses Mass an Autarkie zu erreichen und Dinge selbst herzustellen, indem beispielsweise Landbau oder Werkstätten betrieben werden.
Es wird keine vollständige Autarkie angestrebt, denn ebenso wichtig wie die Stabilität im Inneren sind die Vernetzung und der Austausch mit anderen Systemen. Nicht jede Gemeinschaft muss über identische Ressourcen verfügen. Es ist durchaus denkbar, dass in einem solchen Clan Menschen mit bestimmten Fähigkeiten oder Kenntnissen leben, von denen auch die Mitglieder anderer Gemeinschaften profitieren können.
Anfangen könnte man zum Beispiel, indem die erwachsenen Töchter und Söhne zu Hause wohnen bleiben – nicht im Hotel Mama, sondern als vollwertige Mitglieder der Gemeinschaft, die ihren Anteil dazu beitragen und Verantwortung übernehmen. Frauen mit Kindern könnten sich mit anderen Frauen zusammenschliessen, mit Freundinnen oder Verwandten, und Männer in die Gemeinschaft einladen. Das könnte ein Anfang sein.
Voraussetzung ist ein dafür geeigneter Ort. Falls es keinen gibt, kann man sich überlegen, ob es auch dazu Alternativen gibt. Kann man an verschiedenen Orten wohnen und trotzdem in Gemeinschaft leben?
Innerhalb der Gemeinschaft gibt es keine sexuellen Beziehungen
Wenn ich mit anderen darüber diskutiere, kommt stets die Frage auf, warum es keine sexuellen Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft geben soll. Stellen wir uns das einmal vor:
Adam und Eva treffen sich in der Gemeinschaft, verlieben sich und werden ein Paar. Das geht ein paar Jahre gut, bis Eva sich in Jakob verliebt und Adam sitzen lässt. Adam ist zutiefst verletzt und will mit Eva nichts mehr zu tun haben. Das aber ist unumgänglich, weil sie in derselben Gemeinschaft leben. Es kommt zu Spannungen. Was nun? Muss Adam die Gemeinschaft verlassen? Oder Eva?
Sexuelle Beziehungen innerhalb einer Gemeinschaft wirken destabilisierend. Verliebte Paare neigen zur Grüppchen-Bildung. Und wenn es zum Bruch kommt, kann man sich nicht aus dem Weg gehen, denn beide sind hier zuhause. Die Ex-Partner müssen weiterhin am selben Strang ziehen, weil sie derselben Gemeinschaft angehören. Ich stelle mir das schwierig vor.
Die Stärke einer Gemeinschaft nach matrifokalem Muster liegt genau darin, dass die Beziehungen ihrer Angehörigen nicht von romantischen Gefühlen und persönlichen Präferenzen abhängen, sondern von einer Verbundenheit, die mit Romantik nichts zu tun hat.
Sexuelle Beziehungen werden exogam gelebt, also mit Angehörigen anderer Gemeinschaften. Wird eine Frau schwanger, wächst das Kind in ihrem Clan auf, dessen Männer als soziale Väter Verantwortung übernehmen. Der Erzeuger kann, muss aber nicht bekannt sein; der leibliche Vater kann, muss aber nicht engagiert sein. Auf diese Weise entflechtet sich die unselige Verknüpfung von erotischer Anziehung, wirtschaftlicher Abhängigkeit und dem Aufziehen von Kindern.
Die Struktur des Matri-Clans
Die folgende «Anleitung» vermittelt eine Vorstellung von der Struktur eines Matri-Clans:
(Aus der Avaaz-Petition an die Bundeskanzlerin und die Familienministerin von Robert Stein, Juli 2012, auch in: Mutterlandbriefe, Nr. 3, S. 44.)
«Die Gründung eines Matri-Clans erfolgt durch eine Mutter und mindestens eine ihrer Töchter (beide volljährig). Nichtvolljährige Kinder der Gründerinnen gehen automatisch in den Matri-Clan über. Beitreten können Schwestern, Brüder oder weitere volljährige Kinder der Mutter. Auf dieser Basis entstehen mehrgenerationale Grossfamilien, innerhalb derer eine Unterhalts- und Fürsorgepflicht der Mitglieder untereinander besteht.
Innerhalb eines Matri-Clans gibt es keine sexuellen Beziehungen. Für Kinder, die von einer einem Matri-Clan angehörigen Frau geboren werden, erhält der jeweilige Erzeuger grundsätzlich kein Sorgerecht, andererseits bestehen aber auch keinerlei Verpflichtungen für ihn gegenüber der Mutter oder dem Kind (z.B. Unterhalt, Erbe).
Da Matri-Clans selber für ihre Angehörigen sorgen, werden sie nicht dazu verpflichtet, Beiträge in die Renten-, Pflege- und Sozialversicherungen einzuzahlen. Der Matri-Clan ist eine familiäre Fürsorgegemeinschaft, die, falls sie in Deutschland offiziell eingeführt würde, weltweit als Vorbild dienen könnte und insbesondere auch in den armen Ländern weit mehr soziale Sicherheit gewährt als das Modell der Ehe. Insofern wirkt sie der Altersarmut, der Überbevölkerung sowie der Vernachlässigung von Kindern entgegen.»
(Quelle: Familie als Beginn, von Fricka Langhammer, S. 115)
Es gibt keine Garantie, dass es gelingt
Egal, wie wir es anfangen: Wir können nicht wissen, ob es gelingt. Wir müssen uns auf einen Prozess einlassen, von dem wir nicht wissen, wohin er führt. Auf viele Fragen gibt es keine Antworten, und wenn wir zum Vornherein alle Unsicherheiten ausräumen und für jedes Problem eine Lösung haben wollen, werden wir niemals anfangen. Es gibt im Leben keine Garantien, für gar nichts, doch wenn wir Veränderung wollen, müssen wir bereit sein, uns auf das Unbekannte einzulassen.
Vielleicht werden die ersten solchen Gemeinschaften, die neu entstehen, Mischformen sein. Vielleicht wird es darin Paare und Kleinfamilien geben. Vielleicht wird sich das matrifokale Muster entwickeln, nach und nach. Und vielleicht geht das alles auch viel schneller, als man denkt.
Mehr dazu
- Permakultur als Rezept für das Leben in Gemeinschaft, hier bei Wild & mutig
- Die Kleinfamilie ist keine natürliche Lebensform, hier bei Wild & mutig
- Familie als Beginn. Die westliche Kleinfamilie und die matriarchale Grossfamilie der Mosuo in China, von Fricka Langhammer
- Am Herdfeuer. Aufzeichnungen einer Reise zu den matriarchalen Mosuo, von Dagmar Margotsdotter
- Als alle Menschen Schwestern waren, von Irene Fleiss (2 Bände)
(Photo by Vitolda Klein on Unsplash)


